Es ist November. Und Sonntag. Und genau so, wie Novembersonntage in Hamburg sind: grau, leichter Nieselregen, kalt – und irgendwie wird es nicht hell.
Für heute Mittag war ich zum Radfahren mit einem sehr netten Menschen verabredet, hatte mich auch schon darauf gefreut. Dann kam die Absage. Meine erste Reaktion: klar, ich fahre allein. Logisch. Gar kein Problem.
Schlechtes Wetter hält eine echte Renn-/Gravelbikefahrerin schliesslich nicht davon ab, aufs bike zu steigen und – notfalls auch allein – eine heldinnenhafte Runde zu drehen. Oder….?
Ich habe einen Moment darüber nachgedacht, ob ich mich heute outen sollte. Eine Genießerin kann ja auch einfach schweigen. Oder die Fassade aufrecht erhalten.
Heute trete ich mal die Flucht nach vorn an.
Also: ich habe es getan.
Ich war heute nicht auf dem bike.
Ich war nicht einmal draußen.
Und: ich habe den ganzen Tag Sportklamotten getragen. Sozusagen als Alibi.
Wie konnte das passieren???!
Mir fallen spontan zwei Menschen ein, die nun fassungslos sagen werden: „Lisa, DU???!! Kann gar nicht sein!!!! Du bist doch so diszipliniert. Und den ganzen Tag in Lauftights und Fleece – NEIN!!!“
Doch.
Und was soll ich sagen – es war großartig.
Nachdem das längst überfällige Bad geputzt, der letzte angemahnte Beleg an die Steuerberaterin geschickt und die Sonntagszeitung gelesen war, habe ich mich auf mein Rennrad gesetzt. Das steckt nämlich jetzt in der Elite – meinem Rollentrainer (italienisches Fabrikat – was für ein Zufall!). Mit der Elite bin ich neulich schon durch London geradelt – heute war eine Tour durch Rapsfelder und kleine englische Dörfer dran. Sozusagen Homeoffice auf dem bike. Herrlich. Und natürlich schien dabei die Sonne. Dazu lief ein grandios sinnbefreiter podcast.
Ein perfekter Novembersonntag. Ob ich anschliessend geduscht habe…? Das überlasse ich deiner Phantasie. Auf jeden Fall habe ich danach noch Schokolade gegessen.
Und nun die Kurve – wie komme ich bei soviel Disziplinlosigkeit zur Inspiration für unser Arbeitsleben? Was hat das alles mit Führung zu tun??!
Ich komme nochmal auf „Lisa – DU????!!“ zurück. Wer mich aus dem Arbeitsleben kennt, kann sich soviel Lotterleben bei mir vermutlich nicht vorstellen. Das ist die Seite von mir, die ausschliesslich mir selbst und sehr nahestehenden Menschen vorbehalten ist. Im Job fülle ich eine Rolle aus. Dazu gehört – ganz besonders bis vor einigen Jahren – auch ein Stück Vorbildfunktion. Dass ich auf der Betriebsfeier zwar Spaß habe, aber eben nicht aus der Rolle falle. Für meine Rolle als Freundin, Partnerin, Schwester, Cousine,…… bewahre ich mir meine Portion Verrücktheit, Spontaneität oder (natürlich nur in absoluten Ausnahmefällen!) das Glas Wein zuviel auf.
Wie ist das bei dir? Wie schwer fällt es dir, die Grenze zwischen Job und Privatleben zu ziehen? Bist du schon mal aus der Rolle gefallen? Wie empfindest du es, wenn jemand aus deinem beruflichen Umfeld sich nicht seiner/ihrer Rolle entsprechend verhält?