Die ultimative Herausforderung – im Team geht‘s

Am Wochenende habe ich die Rennradsaison 2021 mit einer ganz besonderen Herausforderung abgerundet. Vor einigen Wochen hatte ich mich bereit erklärt, für einen verletzten Vereinskollegen vom FC St. Pauli einzuspringen – Zeitfahren von Hamburg nach Berlin. 280 km. Zweihundertachtzig. Die Tage davor wuchs mein Respekt vor dieser Strecke und natürlich war es nicht mehr möglich, meine Entscheidung zu revidieren. Immerhin waren wir ja als Team angemeldet. 

Also habe ich am Freitagabend mein Rennrad startklar gemacht und alles zurechtgelegt: Radfahrkleidung, ca. 10 Energieriegel, 2 Bananen, Powerbank und Kabel für Garmin, Licht und Telefon – alles, von dem ich meinte, es könnte hilfreich sein. Wie gut, dass es im Vorwege schon einige nützliche Tipps von den Kollegen gab!

nächtliche Eiseskälte …. und meine neue Liebe zu Keksen.

Am Samstagmorgen um 4 Uhr klingelte mein Wecker und um kurz nach 5 Uhr saß ich mit meinem Bike in der S-Bahn nach Bergedorf. Von dort waren es dann nochmal 6 km Landstraße bis zum Startpunkt. Um 7 Uhr war unsere Startzeit, gleich mit der ersten Überraschung: einer unserer Teamkollegen hatte sich spontan entschieden, mit dem schnelleren Team zu starten! Da waren’s nur noch 4…..Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt machten Gaby, Christian, Martin und ich uns auf den Weg in die aufgehende Sonne. Über den Feldern stieg der Nebel auf, es ging an der Elbe entlang, ein paar Anstiege mit tollem Blick….. einfach wunderschön. Das Tempo war entspannt und wir alle sehr zuversichtlich. Dafür war mir SEHR kalt, die Temperaturen waren doch deutlich anders als noch vor 2 Wochen in Italien! Unterwegs überholten uns immer wieder andere Gruppen – mit einem freundlichen „Moin“. Wir überholten übrigens nur Gruppen, die wegen einer Panne gerade nicht fuhren. Gegen 10 Uhr waren wir schon in Hitzacker: schöne alte Fachwerkhäuser, und meine Hände wurden langsam wärmer. Nach knapp 100 Kilometern die erste Versorgungsstation: Heißer Kaffee, Riegel…. und ich habe meine Liebe zu Prinzenrolle Keksen entdeckt! Vermutlich hätte ich auch jeden anderen Keks mit Hingabe vertilgt.

Schmerzen und Wind. Und schon wieder Essen.

Auf ging’s in die nächste Etappe – nach ca. 140 Kilometern Wittenberge, eine kurze Rast an der Elbe. Inzwischen fühlten sich die Eisklötze an meinen Pedalen wieder an wie Füße. Dafür hatte es sich bei ungefähr Kilometer 120 ein Klingone auf meinem Gepäckträger gemütlich gemacht und bohrte mir immer wieder glühende Messer in den Rücken, die Schultern, die Knie…. Auch das Sitzen war inzwischen zu einer sehr schmerzhaften Angelegenheit geworden. Erfahrene Sportler haben zum Glück immer ein paar Ibuprofen in der Trikottasche.

Und der Wind …..! Der anfangs moderate Ostwind hatte sich inzwischen zu einer recht kräftigen Brise entwickelt und machte uns das Leben schwer. Windschatten fahren ist in einer großen Gruppe eine wunderbare Sache: wer vorn fährt, muss sich anstrengen, für die dahinter ist es leichter. Damit jeder mal die Chance auf Anstrengung und Erholung hat, wird immer gewechselt. Klare Ansage von Martin: jeder fährt drei Minuten vorn, dann ist der nächste dran. Das Gute daran: die 3 Minuten für die Männer waren irgendwie immer viel länger als die für uns Frauen.

Nach ungefähr 200 Kilometern noch eine Pause. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie ein SO leckeres Tankstellen-Käsebrötchen gegessen!! Und Eis. Und Schokoriegel.

Grenzerfahrungen.

Bei ungefähr Kilometer 210, als ich gerade mal wieder vorn im Wind fuhr, auf schnurgerader Straße, mit der Aussicht, noch circa siebzig Kilometer auf diese Weise zurückzulegen, war ich kurz davor, abzusteigen und mich weinend in den Straßengraben zu setzen. So ein Marathon bringt ganz neue Grenzerfahrungen. Irgendwie ging es dennoch weiter, die Schmerzen waren jetzt überall gleichzeitig, auf dem Gepäckträger saß vermutlich mittlerweile eine ganze Klingonenfamilie…. 

Endlich „richtiger“ Windschatten!

Dann die Rettung: eine Gruppe mit knapp 20 Fahrern, die wir unterwegs immer mal wieder getroffen hatten, überholte uns, die waren recht zügig unterwegs. Da gaben wir nochmal richtig Gas, um uns dranzuhängen. Meine Reserven waren eigentlich nicht mehr vorhanden, aber die Motivation, ab sofort in einer großen Gruppe mit viel Windschatten zu fahren, hat nochmal letzte Energien – woher auch immer – mobilisiert. Wir wurden freundlich aufgenommen und fuhren so die letzten 60 Kilometer in einer gut aufgestellten Gruppe: in 2er Reihe, die meiste Zeit mit Windschatten, nochmal auf großartigen teilweise autofreien Straßen, mit Blick auf einen wunderschönen Sonnenuntergang. Plötzlich fühlte sich alles ganz leicht an und wir waren richtig schnell. Wind: nicht mehr zu merken. Durch die laufenden Wechsel hatten wir beim Fahren immer jemand anders neben uns, überall wurde geredet – nur ich war inzwischen sehr still geworden. Das geht. Wirklich. 

Die letzte Stunde fuhren wir im Dunkeln, alle gut beleuchtet, sehr gleichmäßiges Tempo…. irgendwie hat es für mich immer etwas sehr Ästhetisches, in einer so großen Gruppe zu fahren, alle gemeinsam im gleichen Tempo, das Surren der Reifen, man gibt sich Zeichen bei Hindernissen und es geht einfach nur um das gemeinsame Ankommen. Zwischendurch gab es Zuspruch von Gaby, und den Tipp, nochmal einen Riegel zu essen, Mobilisierung weiterer Energien auf der Zielgeraden (und ja – ich kann inzwischen sehr gut bei knapp 30 km/h Riegel auspacken und essen!)

Auf der Zielgeraden. Und: die ultimative Lizenz zum Essen!

Die letzten 10 Kilometer waren dann Endorphin-getrieben, beim Passieren des Ortsschilds zur Hauptstadt jubelte die ganze Gruppe. Wir waren die letzte Gruppe, die an dem Abend ankam – zum Glück waren noch nicht alle Bratwürste aufgegessen. Der Blick auf meinen Garmin zeigte mir, dass ich auf der Tour insgesamt über 8.000 Kalorien verbraucht hatte. ACHTtausend. Wunderbare Aussichten für die nächsten Tage – ich darf jetzt soviel Kuchen essen, wie ich will!!!

Mit ein wenig Abstand muss ich sagen, dass es ein großartiges Erlebnis war. Dass ich es ohne mein tolles Team und deren Zuspruch und Verpflegung niemals geschafft hätte, so viele Kilometer am Stück zu fahren! Ein ganz großes DANKE an dieser Stelle an Gaby, Martin und Christian vom FCSP!! Und wir alle hätten ohne die andere Gruppe an dem Abend vermutlich erst eine Stunde später und völlig fertig das Ziel erreicht. 

Mein Fazit.

Was habe ich daraus gelernt: im großen Team fährt es sich einfach besser. Mehr sag ich heute nicht dazu, ich geniesse einfach noch ein wenig meine Endorphine …..und den Kuchen!!

Die Strecke.

Falls jemand Lust hat, die Strecke selber einmal zu fahren, gibt’s hier den link zur kommot Tour. Man kann die Tour auch in mehreren Abschnitten fahren!

1 Kommentar zu „Die ultimative Herausforderung – im Team geht‘s“

  1. Liebe Lisa
    Danke für diesen Interessanten Bericht und Dein letzter Abschnitt sagt sehr viel aus! Es geht oft nicht nur um die Einzelperson, sondern um das ganze Team, vieles wird einfacher, wenn man zusammen arbeitet und das gleiche Ziel verfolgt.

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